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Ebenso empfehlenswert: Aufstiegs- und Abstiegsgesellschaft

Früher ging es schnell nach oben. Jetzt geht es steil bergab, wenn nicht ein politischer Wechsel kommt. Das ist unsere einfache Kernerzählung über die deutsche Wirtschaft. Sie nutzt Metaphern der räumlichen Orientierung. Noch verständlicher geht es nicht. Intuitiv können wir Emotionen, Tätigkeiten, Eigenschaften und selbst abstrakte politische und ökonomische Sachverhalte nach „oben“ und „unten“ sortieren. Wach sein, gesund sein, leben, kontrollieren und fröhlich sein (Hochstimmung) sind oben. Schlafen, Krankheit, tot, unterdrückt sein und in Depressionen verfallen sind unten (Vgl. Lakoff/Johnson, S. 22ff) Wenn wir über die Aufstiegs- und Abstiegsgesellschaft sprechen, haben wir deshalb sofort unterschwellig die Emotionen mit dabei, aber auch das Ausrichten auf eine vernünftige Politik. Denn: Der Verstand (Kopf) ist oben und das Bauchgefühl unten.

Mitte vom Abstieg bedroht

Wir möchten nun an einem konkreten Beispiel erklären, wie die Orientierungsmetaphern ökonomische Entwicklungen veranschaulichen. Dirk Schümer gelang das in einem Beitrag für die WELT vom 19. September 2022 exzellent. Er trägt den pointierten Titel: „Plötzlich sind Unterschichtler vom Lande die überraschenden Trendsetter“. Schümer steigt ein mit der Feststellung des „Verlusts der Mitte“. Die „Mitte“ des Volkes hatten wir bereits im Kapitel über die Sozialpolitik zu einem Schlüsselbegriff erklärt. Diese Mitte ist vom Abstieg bedroht. Denn: Die „gemütliche Aufsteigersaga“, die „nicht ganz zu Unrecht das deutsche Paradies auf Erden vorausahnte“, ließe sich nun nicht mehr glaubwürdig erzählen, so Schümer. Die Mitte befinde sich nicht mehr im „Fahrstuhl nach oben, sondern eher auf einer gesellschaftlichen Skipiste“. Wer sich gern die Skier unterschnallt, suche sich bitte ein anderes Bild. Vielleicht geht es ja auch gerade den Abhang hinunter und jeder Stein, auf den wir unbedacht treten, kann die nächste Lawine auslösen.

Soziale Angleichung nach unten droht

Als nächstes fragt Schümer süffisant, was sich ein „strebsamer Aufsteiger der einstigen Mittelschicht“ noch für seine erworbenen digitalen, bildungsbürgerlichen Fähigkeiten und „soft skills“ kaufen könne? Die belächelten ruppigen Handwerker vom Lande seien auf einmal besser auf die Zukunft vorbereitet.

Den Abwärtssog der Mittelklasse erklärt Schümer schließlich mit der extremen „Fallhöhe einer komplexen Gesellschaft, deren Wohl an fernen Großwetterlagen hängt“. Die Mitte stünde deshalb vor dem „resignierten Rückweg ins Prekariat“. Millionen „Begüterte“ (gut = oben) seien „ins Taumeln“ geraten. Somit sei eine „soziale Angleichung nach unten“ realistisch. Schümer belegt diese These mit einem Autoritätsargument, indem er den Soziologen Andreas Reckwitz zitiert, der ebenfalls eine „Abstiegsgesellschaft“ als ein mögliches Szenario ausmachte. Die Ursache sei, daß die Mittelschicht „auf ihrem eleganten Weg nach oben das Kämpfen nie gelernt“ habe. Der belächelte, wenn nicht sogar verachtete „Unterschichtler vom Lande“ wisse, wie das geht, und könnte sich daher als ein „Entglobalisierungsgewinner“ herausstellen, weil er noch selbständig mit Holz seine Wohnung oder sein Haus warm bekommt.