Johann Sebastian Bach (1685-1750) zählt ohne jeden Zweifel nicht nur zu den 100 wichtigsten Deutschen, sondern er gehört ganz, ganz sicher in die Top 10. Joachim Fernau zählt ihn natürlich zu seinen ausgewählten Genies der Deutschen. Bei Richard Wagner und Thea Dorn nimmt er ebenfalls eine zentrale Rolle ein. Angelehnt an Thomas Mann sagen sie: Die Deutschen waren das musikalische Volk schlechthin, dafür aber ungeschickt in politischen Fragen. Für Die deutsche Seele, so der Buchtitel von Wagner und Dorn, ist die Musikalität ein zentrales Element. Bach war dabei der erste Komponist, der aus bloßer Begleitmusik eine autonome Kunst machte:
„Die gewaltige Wirkung Bachs lässt sich nur so erklären: Er war der Erste, dem es gelang, die disparaten, widersprüchlichen Strebungen der Musik zu bündeln. Mutige Melodieführung vereinte sich bei ihm mit komplexer Harmonik. Zuvor hatte in der Barockmusik das Prinzip dominiert, dass die Melodiestimme nicht mit anderen selbständigen Stimmen verwoben, sondern von einem schlichten Generalbass begleitet wird. Stärker noch als die italienischen Renaissance-Komponisten erkannte Bach, dass ‚die Harmonie (…) weit vollkommener (wird), wenn alle Stimmen miteinander arbeiten (und) bei eine reden eine eigene mit den übrigen ganz wohl harmonierende Melodie anzutreffen ist.‘
Der kontrapunktische Satz, den Bach zu seinem Höhepunkt führte, war mehr als ästhetische Spielerei. Er verstand ihn als Ausdruck und Sinnbild der göttlichen Schöpfungsordnung, als ‚Concordia discors‘ – streitenden Einklang. Noch heute hoffen musikalische Geister, aus diesem Kompositionsprinzip, dem Mit- und Gegeneinander gleichberechtigter Stimmen, eine ganze Ethik ableiten zu können.
(…)
Doch Bach war nicht nur der Vater einer solch waghalsigen musikalischen Diskursethik. Ihm gelang es, strengste, nachgerade mathematische Konstruktion und tiefsten Seelenausdruck zu verbinden. Seine Matthäus-Passion etwa ist in ihrer Struktur so vielschichtig, dass die Musikologie sie noch in hundert Jahren nicht vollständig analysiert haben werden. Gleichzeitig schreit hier das gequälte Menschenherz so unverstellt auf, dass man aus Stein sein muss, um sich davon nicht erweichen zu lassen.“