Stefan Scheil, geboren 1963 in Mannheim, ist ein deutscher Historiker, der sich vor allem mit der Vorgeschichte und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs befaßt hat und der „These deutscher Alleinschuld“1https://stefan-scheil.de/faq-was-sie-hier-kriegen-und-was-nicht/ eine differenzierte Schilderung gegenseitiger Provokationen entgegenhält.2https://stefan-scheil.de/biographie/ Scheil kandidierte 2025 für den Bundestag. Im Wahlkreis Ludwigshafen/Frankenthal konnte sich der AfD-Kandidat allerdings nicht durchsetzen. Er erreichte bei den Erststimmen mit 23,1 Prozent trotzdem einen Zuwachs gegenüber der letzten Wahl von 11,4 Prozent.3https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/ludwigshafen/bundestagwahl-vorder-und-suedpfalz-ergebnisse-wahlkreise-100.html
Scheil ist verheiratet und hat zwei Kinder.4https://www.duncker-humblot.de/person/stefan-scheil-8386/?page_id=1
Biographie
Scheil machte 1982 sein Abitur in Ludwigshafen am Rhein. Nach dem Wehrdienst studierte er von 1984 bis 1991 in Mannheim und Karlsruhe Philosophie, Geschichte und Soziologie. Danach arbeitete er laut eigenen Angaben als Angestellter und Journalist. 1997 wurde er in Karlsruhe mit einer Arbeit über die Aktivitäten des politischen Antisemitismus in den Reichstagswahlen von 1881 bis 1912 promoviert. 2005 erhielt er den Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten.
Arbeit als Historiker
Außenpolitische Bündnisse
Stefan Scheil hat sich intensiv mit der Diplomatie und Bündnispolitik der europäischen Staaten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. In seinem Buch Der deutsche Donner (2022) setzt er dabei bereits vor Gründung des Deutschen Kaiserreichs an: „Preußen erreichte nicht zuletzt im Kampf gegen die Ordnung des Alten deutschen Reichs seine Größe. Jetzt setzte sich dies als Kampf gegen den Deutschen Bund fort. Mit dem Abschluß eines Bündnisvertrags mit Italien brach Bismarck beispielsweise nach der preußischen Verfassung nun auch die Rechtsordnung dieses Bundes. Bündnisse mit ausländischen Staaten gegen andere Bundesmitglieder abzuschließen, das hatten sich die deutschen Staaten darin als Teil nationaler Solidarität selbst verboten.“5Der deutsche Donner 2022, S. 45
Während heute – auch und gerade aus konservativer Sicht – Bismarcks Bündnispolitik als Vorbild gilt, macht Scheil darauf aufmerksam, wie häufig Deutschland unter einer Einkreisung gelitten hat. „Sofort nach Bismarcks Rücktritt im Jahr 1890 nutzte die russische Regierung allerdings die Gelegenheit für den Abschluss eines Bündnisvertrags mit Frankreich. Einem Vertrag ‚zur Eroberung Deutschlands und seiner Aufteilung in Kleinstaaten‘, wie sich der russische Zar 1892 über den Sinn des neuen, streng geheim gehaltenen Bündnisses ausließ.“6Ebd., S. 52
Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs
Als „Grundthema der ganzen Weltkriegsära in Europa seit 1914“ bezeichnet Scheil den Umstand, daß die Weltpolitik nach Mitteleuropa hineingedrängt sei. „Der deutsche Versuch, diese Entwicklung zu stoppen und Mitteleuropa als autonomes Machtzentrum zu etablieren, ist gescheitert.“7https://stefan-scheil.de/faq-was-sie-hier-kriegen-und-was-nicht/
In seiner Biographie über den deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop (JvR) von 2013 schildert Scheil die deutschen Bemühungen um eine Verständigung mit England. Er erwähnt dabei, daß sich Deutschland und auch Hitler persönlich im Flottenabkommen von 1935 damit zufrieden gaben, lediglich 35 Prozent der englischen Flottenstärke zu erreichen.8Ribbentrop 2013, S. 65
Trotz dieser versuchten Annäherung und trotz der „Millionen Opfer der stalinistischen Politik, die es zu dieser Zeit bereits gegeben hatte“, seien in England „vorzugsweise nationalsozialistische Gefahren zum Thema“ gemacht worden. „Als Ribbentrop 1936 in London aus dem Zug stieg, um sein neues Amt anzutreten, erklärte er vor der dort wartenden Presse, als neuer Botschafter ein deutsch-englisches Abwehrbündnis gegen eben jenen Kommunismus anzustreben (…) Mochte die UdSSR im Jahr 1936 bei Ribbentrops Ankunft ein bis dahin auf der Welt nicht gesehener mörderischer Totalstaat sein, so fand dies gesellschaftlich, kulturell oder politisch in London fast keine Resonanz“, urteilt Scheil.9Ebd., S. 80f
„Es sollte ein Kennzeichen der Außenpolitik JvRs werden, die Gefahr einer Einkreisung durch den Abschluß verschiedener bilateraler und schließlich multilateraler Bündnisse aus der Welt schaffen zu wollen.“10Ebd., S. 30 Dieser Versuch war bekanntlich nicht von Erfolg gekrönt. Vielmehr verbündete sich – Scheil zufolge – Frankreich bereits ab 1936 mit Rußland, wodurch schon zu diesem Zeitpunkt ein „kalter Krieg“ gegen Deutschland begonnen habe.11Ebd., S. 60 „Hitler beantwortete den französisch-sowjetischen Vertragsschluß mit der Ankündigung, für den Fall der Ratifizierung des Vertrags seinerseits das Rheinland zu remilitarisieren …“12Ebd.
Ein zentraler Punkt in Scheils Argumentation ist, daß Hitler-Deutschland niemals, wie häufig unterstellt, die Weltherrschaft an sich reißen wollte. Die Bestrebungen von Hitler und Ribbentrop zielten auf ein großdeutsches Reich. Diese Bestrebung benennt Scheil auch als eine Ursache des Kriegs.13https://stefan-scheil.de/faq-was-sie-hier-kriegen-und-was-nicht/ Es kamen jedoch weitere hinzu. Der britische Historiker Richard Overy bestätigt diese Sicht in seinem 1.500 Seiten starken Hauptwerk Weltenbrand. Overy betont, Hitler habe „keinen Großkonflikt mit den britischen und französischen Imperien“ angestrebt, sondern „nur einen lokal begrenzten Krieg“. „Der Polenfeldzug war eher als Schlusspunkt zum Jahrzehnt des Reichsaufbaus gedacht, weniger als Prolog zum Weltkrieg“, so Overy wortwörtlich.
Zur Vorgeschichte des Kriegs mit Polen schreibt Scheil indes: „Die englisch-polnischen Abmachungen des Jahres 1939 stellten formal ein uneingeschränktes Bündnis dar, bei dem sich die Vertragspartner wechselseitig als Garanten des jeweiligen Imperiums anerkannten und sich uneingeschränkte Unterstützung für den Fall einer auch nur indirekten Bedrohung von vitalen Interessen eines Vertragspartners zusagten.“14Ribbentrop 2013, S. 95
Als einen Beleg für seine These, Hitler-Deutschland habe nur Expansionen in Mitteleuropa geplant, sieht Scheil unter anderen den endgültigen Verzicht auf Elsaß-Lothringen, der 1938 erklärt wurde.15Ebd., S. 211 Selbst nach Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts habe sich die deutsche Regierung zudem noch am 25. August 1939 um einen ähnlichen Vertrag mit England bemüht.
Zweiter Weltkrieg
Im Gegensatz zum deutschen Mainstream der Geschichtswissenschaft betont Scheil, daß für Hitler die Wiederherstellung des polnischen Staates eine Option gewesen sei, sofern sich die deutschen Grenzen an den „historischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Bedingungen“ orientierten.16Ebd., S. 283
Über die Situation im Jahr 1940 schreibt er: „In Berlin plante man keine weiteren Eroberungen, etwa von ‚Lebensraum im Osten‘. Man wollte den Krieg beenden.“17Ebd., S. 297 Und weiter: „In London gingen Verhandlungssignale ein, wobei ein umfassender deutscher Rückzug aus den bisher besetzten Ländern angeboten wurde, inklusive der Wiederherstellung eines polnischen Staates.“
Der Sowjetunion wirft Scheil vor, Stalin habe die „englisch-deutsche Konfrontation“ versucht zu „übertrumpfen“. Sein Ziel sei es gewesen, bis nach Paris durchzumarschieren. Vor diesem Hintergrund spricht Scheil von einem Präventivkrieg Deutschlands gegen Rußland ab 1941:
„Tatsächlich läßt sich im Detail nachweisen, daß erst die andauernde Kriegssituation mit England, die sowjetischen Verletzungen des 1939 geschlossenen Nichtangriffspakts und Interessenausgleichs, die seit Sommer 1940 beobachteten militärischen Drohungen der UdSSR und der schließlich umfassende Aufmarsch der Roten Armee den Entschluß zum deutschen Angriff verursachten. Eben deshalb ist das Unternehmen Barbarossa als Präventivkrieg zu bezeichnen, da es sich gegen eine zutreffend erkannte militärische Drohung richtete.
Damit ist die Frage nach Verbrechen oder erneuten Lebensraumplänen im Rahmen dieses Präventivkriegs nicht automatisch mitbeantwortet, auch dieser Punkt wird häufig durcheinandergeworfen und trägt zur allgemeinen Polemik bei. Zweifellos zielte der deutsche Angriff auf die Zerschlagung des sowjetischen Staatsverbands und auf die Etablierung eines deutsch kontrollierten Vorfelds in Osteuropa, das den „Kern“ gegen weitere Bedrohungen von dort schützen sollte, wie Hitler sich ausdrückte. Wie gesagt, werden die Zusammenhänge von Kriegsführung und politisch-ethnischer Verfolgung auch weiterhin zu den vieldiskutierten Themen der Zeitgeschichte gehören, selbst wenn das Unternehmen Barbarossa allgemein als Präventivkrieg aufgefaßt werden sollte.“
Veröffentlichungen (Auszug)
2022: Der deutsche Donner. Deutschlands Kampf mit sich und der Welt – 1796 bis 1946
2013: Ribbentrop. Oder: Die Verlockung des nationalen Aufbruchs. Eine politische Biographie
2012: Transatlantische Wechselwirkungen. Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945
2011: Präventivkrieg Barbarossa. Fragen, Antworten, Fakten
2008: Revisionismus und Demokratie
Wikipedia-Korrektur
Per Kontaktschuld wird Stefan Scheil auf Wikipedia in die Nähe der Waffen-SS gerückt. Statt aus seinen Büchern zu zitieren und somit hauptsächlich Primärquellen zu nutzen, bedient sich Wikipedia einseitig bei seinen Kritikern aus Deutschland. Historiker aus dem Ausland, wie der zitierte Richard Overy, die seine Thesen unterstützen, kommen indes auf Wikipedia nicht zu Wort. Als Beleg für Zustimmung von „rechtsextremen Autoren“ dient allen Ernstes die Verleihung des Gerhard-Löwenthal-Preises.