Walter Scheidel, geboren am 9. Juli 1966 in Wien, ist ein Althistoriker aus Österreich, der als Professor an der Standford University arbeitet. Unter anderem hat er den Zusammenhang von Kriegen, Steuerlast und Sozialstaat erforscht.
Biographie
Scheidel studierte in Wien. 1993 wurde er dort promoviert. 1998 folgte die Habilitation an der Universität in Graz. Weitere universitäre Stationen waren Cambridge, Chicago und Stanford.1https://web.stanford.edu/~scheidel/CV_short.pdf
In Stanford ist er seit 2004 als Professor tätig. 2020 wurde er mit dem Oswald-Spengler-Preis ausgezeichnet.2https://www.oswaldspenglersociety.com/conference2020
Positionen
Neben seinen Forschungen zur Antike ist Scheidel vor allem mit seinem Werk Nach dem Krieg sind alle gleich von 2017 in Erscheinung getreten. Scheidel weist darin nach, daß die Steuerlast zur Finanzierung von Kriegen massiv erhöht wurde. Nach den Kriegen wurden diese Mehreinnahmen zum Aufbau von Sozialstaaten genutzt. Eine Senkung der Steuerlast fand indes nie statt.
In Recherche D, Heft 15, zum Thema „Wirtschaftskrieg“, wurde die Position von Scheidel wie folgt zusammengefaßt:
Er verweist auf die „umgekehrte Dominanzhierarchie“. Herrscher, die nur auf Gewalt, Stärke und Härte setzen, würden Widerstand regelrecht provozieren. Daher sei eine „moralische Ökonomie“ erforderlich. Denn durch Empathie gegenüber den Untertanen finde eine „präventive Neutralisierung von Autorität“ statt. Dieses Grundgesetz der Macht, auch bekannt als „Zuckerbrot und Peitsche“, gilt bis heute: Soft power ist besser als hard power. Oder anders ausgedrückt: Alphatiere können sich nicht alles erlauben, auch wenn sie körperlich überlegen sind. Ihre Dominanz ist stets gebunden an die Fähigkeit zur Integration. Andernfalls bilden sich innerhalb einer Gemeinschaft oder durch äußere Feinde mächtige Koalitionen, die in Konkurrenz treten und selbst die Souveränitätsrendite einstreichen wollen.
Zum Zusammenhang von Krieg, Gleichmacherei, Steuerlast und Sozialstaat wird in der Ausgabe erklärt:
„Der Krieg zählt neben anderen Katastrophen wie Pandemien oder einem Systemkollaps zu den großen Gleichmachern. Superreiche müssen im Krieg überdurchschnittlich hohe Einkommens- und Vermögensverluste hinnehmen, während es ihnen im Frieden gelingt, Kapitalrenditen zu erzielen, die weit über dem eigentlichen Wachstum ihrer Unternehmen liegen. Im Frieden steige somit die Ungleichheit und keine noch so ausgefeilte Umverteilungspolitik sei – historisch betrachtet – bisher in der Lage gewesen, daran etwas zu ändern. Warum ist der Krieg nun Gift für die Reichen? Vorweg: Die zerbombten Filialen und Produktionsstätten ihrer Unternehmen fallen erstaunlicherweise am wenigsten ins Gewicht.
Schauen wir gemeinsam mit Scheidel nach Japan: 1938 lag der Einkommensanteil des obersten „einen Prozents“ der Japaner bei 19,9 Prozent. In Folge des Zweiten Weltkrieges sank er auf 6,4 Prozent. Beim reichsten Zehntel der Reichen war der Absturz noch heftiger. Ihr Einkommen schrumpfte um 80 Prozent. Bei den Vermögen kommen die Verluste in der Kriegszeit zwischen 90 und 97 Prozent beinahe einer Totalzerstörung gleich. Scheidel bemerkt dazu pointiert: „Nur Lenin, Mao oder Pol Pot hätten für eine gründlichere Nivellierung sorgen können.“
Trotzdem stieg die Rüstungsproduktion zwischen 1936 und 1944 um das 21-Fache. Ebenso wuchs die chemische und Schwerindustrie. 1945 gab es in Japan trotz aller Zerstörungen mehr Industrieanlagen als vor dem Krieg. Was war also geschehen und warum gelang es den Kapitalisten nicht, Kriegsgewinne zu erwirtschaften?
1937 machten Kapitalerträge 45,9 Prozent der japanischen Wirtschaftsleistung aus. 1945 waren es noch 11,8 Prozent und 1949 nur noch 0,3 Prozent. Die Kapitaleinkünfte waren also „praktisch verschwunden“, so Scheidel. Er führt dies hauptsächlich auf staatliche Regulierungsmaßnahmen zurück. Sie hätten die „größte Bedeutung“ und seien entscheidender gewesen als Inflation und Zerstörung.
Immobilienbesitzern hätte man so z.B. einfach verboten, Geld zu verdienen, um die Zumutungen für das Volk so gering wie möglich zu halten. Scheidel betont dazu: „Die Arbeiter profitierten nicht nur von Mietpreisbindung, Lohnzuschüssen und zunehmenden staatlichen Eingriffen in die Unternehmensführung, sondern auch von einer Ausweitung der Sozialleistungen, die aus Sorge um die Gesundheit von Rekruten und Arbeitern und mit dem erklärten Ziel eingeführt wurden, die Sorgen der Bevölkerung zu zerstreuen.“ Nach dem Krieg setzte sich diese planwirtschaftliche Politik durch die Amerikaner fort. „Die Besatzer setzten die Waffe der Besteuerung mit großer Härte ein. Zwischen 1946 und 1951 wurde eine hohe und progressive Vermögensteuer mit einem niedrigen Freibetrag und einem hohen Spitzensteuersatz von 90 Prozent eingehoben.“ Sowohl die zu Kriegszeiten eingeschlagene Steuer- als auch Sozialpolitik hielten sich nicht nur in Japan jahrzehntelang. Die Steuern kehrten überall nie wieder auf das Vorkriegsniveau zurück. Ebenso blieben viele sozialpolitische Maßnahmen erhalten. Scheidel meint, eine egalisierende Wirkung „bis in die Neunzigerjahre“ hinein feststellen zu können.
Auch bei den Siegermächten und sogar bei unbeteiligten Nationen sank die Ungleichheit. Auch hier machte sich eine deutliche „Verringerung des Anteils der Kapitaleinkünfte“ bemerkbar, während die Staatsquoten nachhaltig stiegen. Es läßt sich daher sehr pauschal sagen: Kriege lassen Steuern steigen. Kriegsgewinne sind somit nur von kurzer Dauer. Schon im Ersten Weltkrieg verhängten Großbritannien, Frankreich, Kanada und die USA enorm hohe Steuern auf „übermäßige“ Gewinne, wie sie aktuell z.B. Mineralölkonzernen vorgeworfen werden.
Daneben wurde die Einkommensteuer für alle in großen Schritten angehoben: „Der effektive Steuersatz auf Einkommen von 50.000 Dollar stieg von 1,5 Prozent im Jahr 1913 auf 22 Prozent im Jahr 1918 und die Steuer auf Einkommen von 100.000 Dollar erhöhte sich im selben Zeitraum von 2,5 Prozent auf 35 Prozent“, so Scheidel zur Situation in den USA.
Kriege treiben darüber hinaus auch die Verteidigungsausgaben neutraler Staaten in die Höhe. In Schweden stiegen sie im Zweiten Weltkrieg um das Achtfache. Zugleich konnte sich bisher nur in Kriegszeiten und durch Systemkonkurrenz das Ideal einer solidarischen Gesellschaft (Sozialstaat) durchsetzen. Scheidel zufolge wirkte in der Nachkriegszeit die Sowjetunion als disziplinierende Macht gegenüber Westeuropa. Merke: Systemkonkurrenz belebt die Sozialpolitik.“
Veröffentlichungen (Auszug)
2025:
2019:
2017:
1994: Grundpacht und Lohnarbeit in der Landwirtschaft des römischen Italien (Dissertation)
Wikipedia-Korrektur
Wir haben keine grundsätzlichen Korrekturen vorgenommen, aber die bemerkenswerten Erkenntnisse aus Nach dem Krieg sind alle gleich ergänzt.