Daniel Stelter, geboren am 29. Mai 1964 in West-Berlin, ist Ökonom, Podcaster und Spiegel-Bestseller-Autor (Das Märchen vom reichen Land).
Biographie
Stelter studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen von 1984 bis 1988. 1990 wurde er bei Fredmund Malik mit einer Arbeit über “Deflationäre Depression: Konsequenzen für das Management” promoviert.1https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&cqlMode=true&query=idn%3D910113300 Danach war er bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group.
In den letzten 15 Jahren (Stand: 2025) hat Stelter zahlreiche Bücher zu politischen und ökonomischen Themen geschrieben und betreibt einen vom Handelsblatt unterstützten Podcast (beyond the obvious).
Positionen
Im November 2018 gab Daniel Stelter Recherche D ein Interview, das wir hiermit frei verfügbar machen wollen:
Recherche D: Sehr geehrter Herr Dr. Stelter, in Ihrem neuen Buch Das Märchen vom reichen Land bezeichnen Sie es als einen Fehler, daß Deutschland seine internationale Wettbewerbsfähigkeit über »Kostensenkung statt Produktivitätsverbesserung« wiederhergestellt hat. Was wäre die konkrete Alternative gewesen? Wo sind wir falsch abgebogen?
Dr. Daniel Stelter: Nun, das ist nur einer von vielen Kritikpunkten an unserer Politik. In der Tat war es zunächst richtig, über eine Anpassung der Lohnstückkosten die Wettbewerbsfähigkeit wieder zurückzugewinnen, die durch einen überteuerten Eintritt in die Währungsunion entstanden war. Das hat sicherlich zu dem Abbau der Arbeitslosigkeit hierzulande beigetragen. Doch das
ist nur ein kurzfristiger Hebel. Mittel- und langfristig kann eine Wirtschaft wie die unsere nur dann Arbeitsplätze und Wohlstand sichern, wenn es auch gelingt, die Produktivität, also die Wertschöpfung pro Kopf zu steigern. Denn je höher die Einkommen sind, die wir pro Einwohner und pro Erwerbstätigem erwirtschaften, desto eher können wir uns die vielen Dinge leisten, die wir uns leisten wollen. Von Sozialstaat über großzügige Migrationspolitik bis zu Investitionen in die
Zukunft. Letztere kommen seit langem zu kurz.
Richtig wäre gewesen, deutlich mehr im Land zu investieren. Bessere Infrastruktur – hier besteht ein Rückstau an Investitionen von mindestens 120 Milliarden Euro – und eine nachhaltige Erhöhung der jährlichen Ausgaben um ca. 30 Milliarden wären nötig. Ein anderes Beispiel ist die digitale Infrastruktur, wo Deutschland einen der schlechtesten Plätze in OECD und EU einnimmt. Während bei uns nur rund zwei Prozent der Haushalte einen Glasfaseranschluß haben, sind es im OECD-Durchschnitt über 20 Prozent und im vermeintlich viel ärmeren Spanien über
50 Prozent.
Im Bildungswesen werden wir seit Jahren in den Rankings nach hinten durchgereicht. Beispiel Mathematik: Hier liegen deutsche Schüler mit 514 Punkten beim PISA-Test deutlich hinter den Kollegen in Shanghai (613), Singapur (573), Hongkong (561), Taiwan (560) und Korea (554). Schaut man auf die Untergruppe der besonders Talentierten mit Spitzenleistungen, so erreichen nur 2,6 Prozent der Deutschen diese Gruppe. Auch hier liegen Singapur (9,1 Prozent), Hongkong (6 Prozent), Taiwan (5,9) und Korea (4,4) auf einem signifikant höheren Niveau. Dies ist aber die wichtigste Voraussetzung für künftige Innovationsfähigkeit und damit Wohlstand. Kein Wunder also, daß deutsche Unternehmen immer mehr im Ausland investieren. Sie sehen eine deutliche Verschlechterung der Rahmenbedingungen und statt einer Besserung ist eine weitere Verschlechterung in Sicht.
Mit Verweis auf eine Studie von McKinsey behaupten Sie, das heutige Produktivitätswachstum in der westlichen Welt sei so niedrig wie seit 1860 nicht mehr. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari spricht dagegen davon, daß wir uns durch die zu erwartenden Innovationen in der Biotechnologie, durch den Datenkapitalismus und die Industrie 4.0 zum »Homo Deus« aufschwingen. Wie paßt Ihre Skepsis zu diesen Zukunftsaussichten?
Nicht nur McKinsey kommt zu dieser Aussage. Seit Jahren verzeichnen wir weltweit einen Rückgang der Produktivitätsfortschritte, der sich seit Beginn der Finanz- und Eurokrise weiter beschleunigt hat. Dieser Blick in die Vergangenheit ist leider unumstritten. Ihre Frage zielt aber auf die Zukunft: Und da kann man in der Tat Hoffnung haben. Die zitierte Studie zeigt ja auf, wie alleine durch konsequente Anwendung dessen, was es schon gibt, die Produktivität deutlich gesteigert werden könnte.
Nehmen Sie als Beispiel die digitale Verwaltung. Hier ist Deutschland Jahre zurück. Würden wir beispielsweise von den Skandinaviern lernen, so könnten wir nicht nur uns Bürgern das Leben erleichtern, sondern auch die staatliche Bürokratie deutlich effizienter machen. Bei den neuen Technologien ist es in der Tat ein weltweites Rätsel, warum sich die Fortschritte nicht in den Produktivitätszahlen finden lassen. Eine These – vertreten vom amerikanischen Wachstumsforscher Robert Gordon – ist, daß die neuen Erfindungen nicht mehr so fundamental sind, wie frühere Erfindungen wie Auto, Flugzeug und fließendes Wasser. Andere meinen, daß sich viele Wirkungen der neuen Technologien nicht in den klassischen Zahlen niederschlagen, weil sie nicht richtig erfaßt werden.
Wiederum andere glauben, daß es sich nur um eine Zeitverzögerung handelt, bis die Produktivität steigt. Generell kann man sagen, daß auch die Finanzkrise negativ gewirkt hat und immer noch wirkt und zugleich viel zu viele Unternehmen lieber das Bestehende melken, statt auf Neues zu setzen. Hier ist es auch ein Versagen der Kartellbehörden, die nicht für ausreichenden Wettbewerb sorgen.
So oder so müssen wir uns aber der Tatsache stellen, daß die technologischen Fortschritte vermutlich nicht die Folgen des demographischen Wandels werden auffangen können. Schon gar nicht in Deutschland, wo wir Digitalisierung und Automatisierung als Gefahr und nicht als Chance sehen und damit die Entwicklung eher behindern.
Japan, das konsequent auf Roboter und Künstliche Intelligenz setze, nennen Sie mehrmals als Vorbild. Ist aber nicht gerade in Japan die Zombifizierung der Wirtschaft in Folge von über 20 Jahren Nullzinspolitik viel weiter fortgeschritten als bei uns?
Im Wachstum des Bruttoinlandsprodukts pro Erwerbstätigem liegt Japan unter den Industrieländern an der Spitze, sogar vor den USA. Die Japaner schaffen damit aber auch nur ein Nullwachstum, einfach deshalb, weil die Erwerbstätigenzahl sinkt. Dennoch ist Japan in dieser Hinsicht ein Vorbild, vor allem weil es eine Illusion ist, den Bevölkerungsrückgang durch Zuwanderung kompensieren zu können. Mengenmäßig ist das leicht, aber nicht wenn man den gleichen Wohlstand erhalten will. Denn dazu braucht man Migration von Menschen, die im Schnitt genauso produktiv sind, wie jene, die schon hier wohnen. Das gelingt nur wenigen Ländern wie Singapur und Kanada. In Zukunft wird der globale Wettbewerb um diese Menschen so zunehmen, daß es besser ist, auf Roboter zu setzen.
Was Nullzinspolitik und Zombifizierung – was bekanntlich die direkte Folge von Ersterem ist – betrifft, so liegen die Ursachen hier noch in der japanischen Finanzkrise nach dem Platzen der Blase 1989. Bis heute hat sich das Land von dieser Überschuldung nicht erholt, lediglich der Schuldner ist ein anderer. Waren es vor dreißig Jahren die Unternehmen, ist es heute der Staat. Am Ende wird die Notenbank die Staatsschulden alle aufgekauft haben und annullieren. Wir sollten da genau hinschauen, befinden wir uns doch in der Eurozone auf exakt dem gleichen Weg wie Japan. Zombies, wohin man schaut und eine Notenbank, die in der Politik des billigen Geldes gefangen ist. Da wir aber weder so leidensfähig sind wie die Japaner und zusätzlich verschiedene Nationen sind, bin ich skeptisch, ob es uns so gut ergehen wird wie den Japanern.
Laut Ihrer Rechnung erwirtschaften rund 15 Millionen Menschen den Großteil des Wohlstandes in Deutschland. Vorausgesetzt, wir bekommen es hin, stets diese 15 Millionen hochklassig auszubilden, können wir doch gelassen in die Zukunft blicken. Der Fachkräftemangel stellt sich damit als Fata Morgana heraus und die Überalterung Deutschlands als eine bewältigbare Herausforderung. Was muß die deutsche Politik folglich für eine nachhaltige Wohlstandssicherung tun?
Richtig. Wenn wir uns vor Augen halten, daß es in Deutschland 27 Millionen Nettosteuerzahler gibt, von denen wiederum zwölf Millionen beim Staat beschäftigt sind, landen wir bei rund 15 Millionen Menschen, die in Deutschland das Gemeinwesen tragen. Die zwölf Millionen Staatsbediensteten leisten natürlich auch einen Beitrag, doch sind ihre Gehälter nur denkbar, wenn die 15 Millionen Menschen, die nicht beim Staat beschäftigt sind, entsprechend viel erwirtschaften. Von den 15 Millionen sind wiederum rund acht Millionen jünger als 44 Jahre. Auf diese acht Millionen müssen wir setzen und vor allem alles dafür tun, daß sie nicht auswandern.
Doch schon bei dieser Rechnung fehlen uns bald rund sieben Millionen Menschen. Diese Lücke können wir mengenmäßig dadurch schließen, daß wir den Anteil der Beschäftigten im staatlichen Sektor zugunsten der Privatwirtschaft verschieben, indem der Staat deutlich produktiver wird. Wir können den Anteil der Menschen, die nicht arbeiten, reduzieren, beispielweise indem wir es attraktiver und leichter machen für Frauen, in den Beruf zurückzukehren. Auch Zuwanderung könnte einen Beitrag leisten, allerdings nur wenn es entsprechend qualifizierte Zuwanderer sind. Bessere Bildung der vorhandenen Bevölkerung ist ein weiterer wichtiger Hebel, wie auch eine deutlich schnellere Digitalisierung und Automatisierung. An all dem muß dringend gearbeitet werden.
Unsere Politik macht es sich zu einfach. Statt zu investieren, wird lieber konsumiert – Stichwort Rentengesetze. Statt die Sozialsysteme für den demographischen Wandel fit zu machen, wird auf Migration gesetzt, ohne dabei auf Qualifikation zu achten und ohne die erforderlichen Investitionen in Bildung und Integration vorzunehmen. Statt die Wirtschaft weniger exportabhängig – und damit angreif bar für Protektionismus – zu machen, wird um jeden Preis auf den Euro gesetzt, um sich Absatzmärkte zu sichern. Dabei ist es eine Subvention für unsere Exportindustrie, die wir selber bezahlen.
Kurz gesagt: Die Politik berauscht sich an dem Märchen vom reichen Land, statt vorzusorgen, damit wir wirklich ein reiches Land werden und bleiben.
Herr Dr. Stelter, vielen Dank für das Gespräch!
Veröffentlichungen (Auszug)
2021: Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040
2018: Das Märchen vom reichen Land
2016: Eiszeit in der Weltwirtschaft. Die sinnvollsten Strategien zur Rettung unserer Vermögen
Wikipedia-Korrektur
Der Wikipedia-Beitrag über Daniel Stelter ist in Ordnung. Wir haben ausschließlich Ergänzungen vorgenommen.