Suche
Close this search box.

Philip Manow, geboren 1963 in Hamburg1https://www.wiko-berlin.de/fellows/akademisches-jahr/2014/manow-philip, ist ein deutscher Politik-Professor, der sich vor allem mit der Demokratieverkürzung befaßt.

Biographie

Manow studierte von 1985 bis 1990 Politikwissenschaft sowie VWL und Geschichte (Nebenfächer) in Marburg und Berlin. Sein Diplom legte er 1990 am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin ab. Von 1990 bis 1993 war er Stipendiat am Max‐Planck‐Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. 1994 folgte seine Promotion in Politik mit magna cum laude und 2002 die Habilitation an der Universität Konstanz.

Als Professor waren seine Stationen Konstanz (ab 2007), Heidelberg (ab 2009) und Bremen (ab 2010).2https://www.socium.uni-bremen.de/ueber-das-socium/mitglieder/philip-manow/lebenslauf/ Seit 2024 lehrt er in Siegen.3https://sfb1472.uni-siegen.de/personen/prof-dr-philip-manow

Positionen

Politische Ökonomie des Populismus (2018)

In Recherche D, Heft 4 (Februar 2019), schrieben wir über Manows Studie zur politischen Ökonomie des Populismus:

Der Bremer Politologe Philip Manow hat im Suhrkamp Verlag gerade eine Untersuchung zur »politischen Ökonomie des Populismus« herausgebracht, die von der NZZ als »bahnbrechend« gelobt wird. Am 13. Dezember stellte er seine Hypothesen in Dresden auf Einladung des Hannah-Arendt-Instituts vor. 

Im Gegensatz zu vielen anderen Sozialwissenschaftlern beschränkt Manow sich nicht allein auf den Rechtspopulismus. Vielmehr will er nachweisen, daß in Nordeuropa eine rechte Variante des Populismus vorherrschend ist, während in Südeuropa eine linke Spielart dominiert. Mit Blick auf Osteuropa und Phänomene wie die Lega Nord in Italien gerät diese Annahme zwar schnell ins Wanken. Dennoch kann seine Theorie einiges erhellen. 

Manow überzeugt zunächst mit einer relativ objektiven Definition des Populismus. Dieser sei im Kern eine »Strategie der Machterlangung« und deshalb – dies ließe sich ergänzen – auch genauso legitim wie Strategien zur Machterhaltung. Rechts wie links beschwöre dieser Populismus das Volk als Einheit gegen eine abgehobene Elite, die sich in einer kosmopolitischen Blase eingerichtet habe. 

Es gebe nur einen entscheidenden Unterschied: Im reichen Norden Europas richte sich der Protest gegen die Globalisierung von Personen und sei deshalb rechts. Im armen Süden hingegen nehmen Linkspopulisten die »Güter- und Geldglobalisierung« ins Visier, die für sie problematisch sei, da ihr nachfrageorientiertes Wirtschaftsmodell durch die Euro-Währungsunion nicht mehr funktioniere. 

Mit diesem Ansatz deckt Manow die Schwächen bereits vorhandener Populismustheorien auf und dringt weit vor in das Feld der Wirtschaftskultur. Wer Populismus nur als »neue kulturelle Spaltungslinie zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen« begreift, liefert keine Erklärung für den Erfolg von Parteien wie der spanischen Podemos-Bewegung. Auf der anderen Seite läßt sich die altbekannte, ökonomisch argumentierende These von den Modernisierungsverlierern empirisch nicht bestätigen. 

Hierzu kann Manow erstaunliche Befunde auspacken: Der durchschnittliche AfD-Wähler ist mitnichten besonders häufig arbeitslos oder abgehängt. Aber interessanterweise fällt auf, daß er sowohl in Ost als auch West im Jahr 2000 überproportional häufig mit Arbeitslosigkeit konfrontiert war. Ganz vorsichtig formuliert, heißt dies: Vermutlich hat der AfD-Wähler biographiebedingt eine größere Sensibilität für die Schattenseiten und Gefahren des Lebens. Er nimmt den Sozialstaat nicht als Selbstverständlichkeit hin, sondern weiß, wie schnell sich die Lebensbedingungen durch Unachtsamkeit oder Pech verschlechtern können. Lebenslang in Watte gepackte Bürger, die beispielsweise durch geerbte Immobilien abgesichert sind, haben diese Sensibilität anscheinend verloren und sind – zugespitzt gesagt – deshalb besoffen vor Zukunftsoptimismus. Hochmut kommt jedoch bekanntlich vor dem Fall.

Die Konfliktlagen im Norden und Süden Europas sind also gänzlich verschieden: Der weltmarktorientierte Norden profitiert von der Güter- und Geldglobalisierung. Genau das macht ihn aber anfällig für eine Einwanderung in die Sozialsysteme. Der Süden muß dies nicht fürchten, obwohl die Karawane durch seine Länder zieht und im Zweifelsfall auch hängenbleibt. Trotzdem hat er größere Probleme mit der eigenen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, was sich unschwer an der eklatanten Jugendarbeitslosigkeit ablesen läßt. Hinzu kommt eine fragmentierte Arbeiterschaft, die sich eventuell unter den aktuellen Bedingungen schlagkräftiger organisieren kann.

In der Diskussion nach dem Vortrag wurde schnell die Tiefe des Themas klar. Dies reicht bis hin zu religiösen Fragen, die schon Max Weber in »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« erörterte

Nehmen, Teilen, Weiden: Carl Schmitts politische Ökonomien (2022)

Philip Manow untersuchte 2022 in einer Studie „Carl Schmitts politische Ökonomien“. Manow verweist darin auf den von Schmitt beschriebenen „Dualismus von zwischenstaatlich-politischem und international-wirtschaftlichem Recht“.

Was folgt daraus? „Politik wird Geopolitik und damit im Zeitalter des internationalisierten Kapitalismus Geo-Ökonomie und damit wiederum auch zu einem Konflikt verschiedener Räume. So verlängert sich die Argumentations- und Begriffskette, sie weist nun auch vom Weltmarkt auf das Politische zurück.“

Am eigenen Leibe zu spüren bekam Deutschland die harten Konsequenzen dieser Verzahnung von Geo-Politik und Geo-Ökonomie im Ersten Weltkrieg. „Der Erste Weltkrieg mit seiner ‚Militarisierung der Nahrung‘ und ‚Politisierung des Hungers‘ hatte der deutschen Bevölkerung bzw. den deutschen Entscheidungseliten vor Augen geführt, wie eine transnationale Ernährungswirtschaft zu einem Instrument globaler politischer Kontrolle in den Händen derjenigen werden konnte, die die Handelswege kontrollieren“, schreibt Manow, der Schmitt schließlich als einen der „ersten Denker der Globalisierung“ adelt.

Seine wohl wichtigste Erkenntnis: Der „Freihandel“ läßt sich niemals vom Imperialismus losgelöst betrachten, auch wenn uns das seine Propagandisten einreden möchten. Dazu noch einmal Manow: Für Schmitt „waren die Versuche, die Verkehrswege zu rechtlichen Indifferenzzonen zu machen, ihre Neutralisierung zu erklären, und diese Neutralisierung mit einer globalen Polizeikraft zu überwachen und zu garantieren, Angriffe auf sie als völkerrechtswidrig zu deklarieren, nichts anderes als die partikulare Position einer am Status quo-Erhalt interessierten Partei, und Vorstellungen, das offene Meer könne sowohl Austragungsort kriegerischer Auseinandersetzung sein wie zugleich auch neutraler Ort des doux commerce (…), intensiv ideologisch.“ (Zur Erklärung: doux commerce meint die naive Annahme aus der Aufklärung, der Handel trage prinzipiell zum Frieden bei.)

Zudem bedingen sich für ihn „totales Waffenarsenal, Rechtsuniversalismus, absoluter Feindbegriff und freier Handel auf den freien Meeren wechselseitig“. Die Gegenposition der „Land“-Fraktion laute hingegen: „Recht ist Recht nur am rechten Ort.“ Sie läuft auf die Sitztheorie hinaus.

Manow resümiert schließlich: „Die ‚politics of the state‘ durch die ‚morality of the globe‘ zu ersetzen, macht die Sache nicht besser, sondern nur anders.“ Danach zeigt er in einer Art Epilog auf, wie die USA in der Nachkriegszeit ihre politisch-ökonomische Dominanz aufbauten: „Im Jahre 1946 besaßen die USA die größte Handelsflotte der Welt. 60 Prozent aller weltweit verfügbaren Tonnage, während es 1939 erst noch 14,5 Prozent gewesen waren. Das überstieg den wirtschaftlichen Bedarf der USA nach dem Zweiten Weltkrieg um das Sechsfache.“ Zudem waren die Schiffe „langsam und relativ klein und deswegen insgesamt für amerikanische Reeder unwirtschaftlich“. Die Lösung für dieses Problem lag im außerordentlich günstigen Verkauf der Schiffe unter einer Bedingung: Sie durften offiziell nicht von Ausländern gekauft werden. Ausländer (wie z.B. die Griechen), die dennoch an den Schiffen Interesse hatten, mußten deshalb „gewagte Firmenkonstruktionen“ eingehen, konnten aber die Schiffe so zugleich „ausflaggen“ (z.B. unter Nutzung der Flagge Panamas) und darüber 30 bis 50 Prozent der Betriebskosten sparen.

Diese Vorgehensweise sollte sich als neues „Muster der Globalisierung“ erweisen, unterstreicht Manow. Die „emblematische Gestalt der neuen Ordnung“ sei der „Oligarch, der nie Steuern zahlt“. „Die besondere Produktivkraft dieser Gestalt liegt in ihrem Vermögen, nicht in das Gesetz eintreten zu müssen, sondern unbehelligt aus ihm heraustreten zu können, als privater Handlanger (…) jenes neuen imperialen Hüters, der das zulässt, weil oder solange es in seinem Interesse liegt“.

Unter Beobachtung. Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Feinde (2024)

In Recherche D, Heft 23 (September 2024), beschäftigten wir uns darüber hinaus mit der Studie, die den Titel Unter Beobachtung trägt. In dieser Studie zeichnet Manow nach, wie in der „liberalen Demokratie“ Macht vom Volk zu elitären Institutionen wie Verfassungsgerichten verlagert wird:

Manow führt aus, daß es „um 1990“ eine „sprunghafte, annähernde Verdreifachung der Zahl der Länder mit Verfassungsgerichten“ gab. Zeitgleich wurde der Begriff der „liberalen Demokratie“ gehäuft eingesetzt, um damit den „Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit“ (Francis Fukuyama) zu markieren.

Manow dazu: „Bezeichnend ist aus meiner Sicht allerdings, dass der Begriff der Demokratie ursprünglich mit dem der Nation verbunden war, sich auf ihn bezog, sich zumindest als Praxis auf die Nation beziehen musste, dies aber nun zunehmend nicht mehr der Fall zu sein scheint. Die Konzeption der liberalen Demokratie bekommt offensichtlich gerade im Kontext dieses Ablösungsprozesses ihre besondere Attraktivität, weil es vermeintlich erlaubt, die Demokratie ohne Nation zu denken, die ja in Misskredit geraten ist. Das Konzept der liberalen Demokratie eröffnet die Möglichkeit, Demokratie nur noch als funktionierende Rechtsordnung zu denken, als effektive Verteidigerin subjektiver Rechte (…) Eine abstrakte Gemeinschaft der Rechteträger, als Gesellschaft der politischen Singularitäten, offenbart allerdings gegenwärtig ihre besonderen Pathologien.“

Als „Gegenbegriff“ zur liberalen Demokratie sieht Manow den „Populismus“. Der liberalen Demokratie „kommt es auf eine möglichst umfassende institutionelle Einhegung des elektoralen Moments an. (…) Möglichst niemand soll so regieren können, wie eine Mehrheit es will. (…) Aber gerät unsere Demokratie nicht möglicherweise genau deswegen umso tiefer in die Krise, je mehr politische Entscheidungsbereiche dem elektoral Korrigierbaren entzogen und dem institutionell Auf-Dauer-Gestellten überantwortet werden?“

Während die Populisten also unter Demokratie den Kampf um Mehrheiten verstehen, sei die sogenannte „liberale Demokratie“ dazu übergegangen, einen „Kranz von Werten“ als verbindlich festzuschreiben. Manow nennt hier exemplarisch die „LGBTQ*-Rechte“ und den „Klimaschutz“. Jeder, der gegen diese global ausgerufenen Werte opponiere, werde währenddessen in den „Kreis der Anti-Demokraten“ aufgenommen. Es sind dann die Verfassungsgerichte, die Urteile über diese angeblichen „Anti-Demokraten“ sprechen und im Extremfall angeblich „extremistische“ Parteien verbieten. Manows Argumentation beruht dabei auf einem internationalen Vergleich: Als Beispiel für die Verteidigung der „wehrhaften Demokratie“ führt er so die Türkei an, wo in den letzten Jahrzehnten 27 Parteien durch das Verfassungsgericht verboten wurden.

Die Demokratieverkürzung zur Rettung der Demokratie hat jedoch eine neue Konfliktlinie entstehen lassen: „Klaren politischen Mehrheiten ist nicht einsichtig zu machen, warum sie ihr Programm, für das sie erfolgreich geworben haben, nicht durchsetzen dürfen, weil ein überschaubares Richtergremium, nicht gewählt, durch niemanden zu kontrollieren oder zu sanktionieren, sich dem entgegenstellt.“

Eskaliert sind diese Konflikte nicht zufällig in Polen und Ungarn. Das polnische und das ungarische Verfassungsgericht agierten in den 1990er-Jahren besonders aktivistisch und kassierten bis zu 50 Prozent der überprüften Gesetze. Daß sich die demokratisch gewählten Regierungen dagegen wehren würden, war absehbar, erklärt Manow. Er nimmt damit die ungarische und polnische Regierung in Schutz, die sich aus Brüssel anhören mußte, anti-demokratisch zu sein.

Manow geht sogar noch weiter: Unter nationalstaatlichen Rahmenbedingungen habe es für die Gerichte „Anreize für die Autolimitation“ gegeben. Indem aber die nationalen Gerichte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) einschalten können, entfällt diese Selbstbeschränkung. „Der EuGH kann folglich in beispielloser Autonomie entscheiden – und alle Einzelgerichte der Mitgliedsländer können an dieser einzigartigen Abschirmung des Rechts vor politischen Kräften teilhaben, sobald sie Streitfälle per Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH vorlegen“, so Manow.

Daß es auch anders geht, zeigen die Niederlande, die skandinavischen Länder und Großbritannien. Sie haben keine Verfassungsgerichte. „Die Niederlande haben einen Obersten Gerichtshof, ihm ist aber per Verfassung (!) untersagt, Parlamentsgesetze auf ihre Verfassungskonformität zu kontrollieren“. Ein wichtiger Punkt ist hier noch zu ergänzen: Als die Bürger bei der Beschneidung ihrer Grundrechte zu Corona-Zeiten die Verfassungsgerichte tatsächlich gebraucht hätten, stellten sie sich – von Ausnahmen abgesehen – auf die Seite der Regierung und intervenierten nicht.

Die Verrechtlichung der Demokratie bringt somit keineswegs die Gewaltenteilung voran. In Verbindung mit dem Menschenrechtsdiskurs löst sie vielmehr eine „Tyrannei der Werte“ (Carl Schmitt) aus. „Wenn vage Wertebezüge zu Rechtspflichten werden, die zentral angeordnet und durchgesetzt werden können, ist dies zumindest keine Einübung in die Demokratie, sondern der Entzug ihrer Voraussetzungen“, kritisiert Manow.

Die liberale Demokratie stelle den „Demos unter Verdacht und deswegen unter Beobachtung“. Widerstand dagegen formierte sich vor allem in Osteuropa, weil „für die Erben der kommunistischen Vergangenheit nach 1990 kein dringendes Bedürfnis bestand, auf ‚hysterisierte Formen nationaler Leidenschaft‘ mit einem kräftigen ‚Nie wieder‘-Bekenntnis zu antworten. (…) Nationalstaatlichkeit war ein Emanzipationsversprechen. Wenig überraschend bestand und besteht in Ostmitteleuropa, zumindest in großen Teilen der Gesellschaft, kein starker Impuls, das gerade erst erlangte nationale Selbstbestimmungsrecht nun so schnell wie möglich wieder – diesmal in Richtung Brüssel – abzugeben.“ Wie Jürgen Habermas (Zur Verfassung Europas, 2011) schon vor Jahren feststellte, begreift sich die Europäische Union dabei explizit als erster Schritt zur Weltgesellschaft.

Veröffentlichungen (Auszug)

2024: Unter Beobachtung. Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde

2022: Nehmen, Teilen, Weiden: Carl Schmitts politische Ökonomien

2020: (Ent-)Demokratisierung der Demokratie

2018: Die Politische Ökonomie des Populismus

Wikipedia-Korrektur

Der Wikipedia-Beitrag über Philip Manow ist fair. Wir haben lediglich Ergänzungen vorzuschlagen.

 

Fußnoten